Rudern seit 1871, 1874 und 1875

Das sportliche Rudern in Schwerin blickt auf eine lange Tradition zurück. Die reichlich vorhandenen Seen um Schwerin lockten schon früh sportbegeisterte Männer zum Rudersport. So gründete der Zahnarzt Wilhelm Wiegels 1871 den Ruderclub "§ 11", der sich 1875 den Namen "Ruderclub Obotrit" gab. Der zweite Verein war der "Ruderverein Schwerin", 1874 gegründet durch den Malermeister Otto Kemmer und 10 andere Herren im "Holtermannschen Lokal", seit 1915 unter dem Namen "Residenz-Kaffee" berühmt. Dies war die 10. Vereinsgründung im Rudersport Deutschlands!!

 

Aber irgendetwas scheint Otto Kemmer danach nicht so recht gepasst zu haben, denn nur ein Jahr später, 1875, rief er einen neuen Verein ins Leben, den "Ruderverein Vorwärts". Diese beiden Vereine fusionierten am 01.01.1921 zur "Schweriner Rudergesellschaft von 1874/75 e.V." (SRG)

 

Aber kehren wir noch einmal in die Ursprungsjahre zurück. Alle Vereine lagerten ihre Boote an der so genannten "Bürgerressource", einem Lokal in der Münzstraße, dessen Restaurationsgarten bis an den Beutel reichte. Die Boote waren damals eisenbeschlagene, schwere eichene Dollengigboote ohne Ausleger und Rollsitze, denn die Annalen sagen, dass entgegen den Bestimmungen auch des Öfteren ein Fass Bier und sogar junge Damen an Bord gesichtet wurden. Auch mit der Ru­dertechnik nahm man es nicht so genau. Fuhr eine Mannschaft einen einigermaßen gleichen Schlag, war man schon zufrieden. Größter Wert wurde auf die genaueste Ausführung der Kommandos gelegt. So erfolgte z.B. der Gruß anderer Boote durch senkrechtes Hochheben der Bootsriemen.

 

Mit der Gründung der nachfolgenden Ver­eine verkaufte der RC Obotrit jeweils Bootsmaterial. So erwarb der RV Schwerin zur Gründung für 80.-M eine Achterdollengig, die allerdings schon kurz danach im Burgsee absackte und der RV Vorwärts erstand für 100,-M eine Viererdollengig. Der SC Obotrit seinerseits hatte sich gerade in Hamburg eine neue Zehnergig bestellt, die 1878 von 7 Ruderern nach Schwerin gerudert wurde. Allerdings hatte dieser Verein 1882 dann lediglich noch 3 Mitglieder und die schöne Zehnergig wurde nur noch zum Angeln genutzt. Dieses Boot war dann wiederum der Anlass, einen neuen Verein zu gründen. 1882 entstand mit Hilfe der Zehnergig der "Ruderclub Neptun". Zwei Jahre später, 1884, etablierte sich dann der "Ruderclub Nelson". Und damit nicht genug, entstand 1884 noch der "Ruderclub Poseidon", der 1885 jedoch schon wieder sein Leben aushauchte.

 

Schwerin hatte also einmal für kurze Zeit 6 Rudervereine. Anfang des 20. Jahrhunderts wird noch ein "Offiziers-Ruderclub" erwähnt, der zum Ende des I. Weltkrieges seine Boote dem RV Vorwärts übergeben musste. Durch die Verschmelzung des RC Neptun mit dem RV Schwerin (1885) und des RC Nelson mit dem RV Vorwärts (1888) sowie der Auflösung des RC Poseidon (1885) wurde die Zersplitterung der Kräfte im Schweriner Rudersport aber zum Teil aufgehoben. Jedoch gab es zwischen den nunmehr drei etablierten Vereinen immer wieder Bestrebungen zur Bündelung der Kräfte. Dazu liegen Aussagen vor, die sich auf einen mehrfach gewünschten Zusammenschluss des RV Vorwärts mit dem RC Obotrit beziehen und nachdem 1921 die Fusion des RV Schwerin mit dem RV Vorwärts zur Schweriner Rudergesellschaft vollzogen wurde, gab es weiterhin Verschmelzungsbestrebungen zwischen dem RC Obotrit und der SRG. Als Positivum ist zu vermerken, dass beide Rudervereine sich nach bereits 1925 begonnenen Diskussionen im Winter 1934 einigten, unter der gemeinsamen Fahne des “Schweriner Regattavereins” eine Renngemeinschaft mit gemeinsam bezahltem Trainer.

 

Der Erfolg blieb nicht aus, denn der Deutsche-Rudersport-Verband benannte diese Renngemeinschaft, in Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in Berlin, im Jahre 1935 zur "Verbandsachterzelle". Am 12. März 1935 fand im Schweriner Rathaus eine feierliche Vereidigung von 42 Olympiaanwärtern statt, unter denen 27 Ruderer waren. Damit wurden dann auch die kleineren internen Fehden zwischen den unterschiedlichen Vereinsmitgliedern, die sich neben konträren Äußerungen in der Presse und den Vereinsblättern u.a. auch in gegenseitigen Wasserbespritzungen auf dem See äußerten, ad acta gelegt. Der letzte offizielle Vereinigungsgedanke trat 1938 auf, als der Schweriner Oberbürgermeister, Dr. Timmermann, den damaligen Vorsitzenden des SC Obotrit, Dr. med. Wiegels, beauftragte, eine Fusion vorzubereiten. Daraus wurde jedoch wiederum nichts, weil die SRG nicht bereit war, ihre finanziellen Defizite offen darzulegen. Die SRG trat dann mit der Deutschen Arbeitsfront (DAF) in Verhandlungen, die das Bootshaus ankaufte und der Gemeinschaft "Kraft durch Freude" (KdF) angliederte. Auf Grund der nationalsozialistischen Nomenklatur musste die Schweriner Rudergesellschaft in Schweriner Rudergemeinschaft umbenannt werden. Mit der Begründung, dass der Begriff "Obotrit" ein slawisches Element, das Mecklenburger Land aber "Urdeutsch" sei, wurde dann auch aus dem SC Obotrit am 07.05.1939 die "Schweriner Ruderkameradschaft". Bis zum Kriegsende bestanden und starteten die beiden Rudervereine unter diesem Namen. Das Kriegsende brachte es dann mit sich, dass in Ermangelung heizbaren Materials die aus Holz bestehenden Bootshäuser am Medeweger See, der Schweriner Ruderkameradschaft sowie auch das Damenbootshaus der SRG in den Öfen der Besatzer, der im Marstall einquartierten Vertriebenen und auch der Schweriner Bevölkerung verschwanden. So haben die Ruderer zwar für etwas Wärme in den kalten Nachkriegswintern gesorgt, aber der Verlust war riesig. Die Rennboote wurden von den amerikanischen und britischen Besatzungstruppen bei deren Abzug mitgenommen, Gigboote wurden mutwillig zerstört oder trieben herrenlos auf dem See herum. Von den eingesammelten Resten wurde dann bereits 1946 von interessierten Mitgliedern beider Vereine eine "FDJ-Rudergruppe" gegründet. Man plante, ein neues Bootshaus auf dem Gelände von "Angler I" zu errichten. Da zeitgleich das ehemalige Bootshaus der SRG von den Russen geräumt wurde, konnte der angefangene Bau beim Anglerheim den Kanusportlern überlassen werden. Ehemalige Obotriten und An­gehörige der SRG hatten nunmehr ein gemeinsames zu Hause und organisierten 1947 die erste Nachkriegsregatta auf dem Ziegelinnensee. Aus der FDJ-Rudergrup­pe entwickelte sich über einige Zwischenstationen bis 1954 dann die SG Dynamo Schwerin, Sektion Rudern, die Schwerin bis 1990 als leistungsstarker Ruderverein vertrat und sehr viele rudersportliche Erfolge auf den Regatten feiern konnte. 1990 bekannte man sich sofort wieder zu alten Traditionen im Rudersport Schwerins und startete erneut unter dem Namen "Schweriner Rudergesellschaft von 1874/75 e.V."

 

Auch 40 noch verbliebene Obotriten versuchten am 25.09.1990 erneut eine Gründung und ließen sich in das Vereinsregister eintragen. Der Kampf um die Rückführung des ehemaligen Bootshausgeländes auf der Marstallhalbinsel begann. Leider waren diese Bemühungen nicht von Erfolg gekrönt und man ließ 1999 die Vereinsregistrierung wieder löschen. Die SRG wäre in diesem Zeitraum zu einer Fusion unter dem Namen "Schweriner Rudergesellschaft Obotrit" bereit gewesen, jedoch wollten die Obotriten dieses Boot nicht gemeinsam besteigen. Trotzdem entwickelte sich auf der Führungsebene ein gewisses Vertrauensverhältnis. Anlässlich der 125 Jahrfeier der SRG wurde mit der Übergabe der Vereinschroniken, eines Hugo Berwald Pokals von 1893 und verschiedener Preziosen durch ehemalige Mitglieder des RC Obotrit sowie der Umsetzung und gemeinsamen Enthüllung des Gedenksteins für gefallene Ruderkameraden auf dem Gelände der SRG ein Schlussstrich unter die Vereinsentwicklung gezogen. Heut versteht sich die SRG als treuer Bewahrer des übernommenen Erbes, setzt die Traditionen aller Rudersportler Schwerins fort und hält sie in Ehren.

Quelle:

Hans-Jürgen Wüsthoff
Sportgeschichte Mecklenburgs 07/08/2002